Ob ein Unternehmen im Internet erfolgreich ist, hängt massgeblich von der «User Experience» ab. Wenn etwas nicht so funktioniert, wie es der Kunde erwartet, sinkt die Chance, dass ein Geschäft abgeschlossen wird, markant.

Henning M. von Vogelsang*

Wenn Sie einen Flug buchen, freuen Sie sich darauf? Wahrscheinlich denken Sie lieber an die Ferien als an die Buchung des Fluges. Denn die zählt eher zu den mühsamen Dingen des Lebens. Dabei liegt es im Interesse aller Fluggesellschaften, das Buchen des Fluges so einfach und schmerzlos wie möglich zu gestalten. Dennoch erfüllt der Prozess der Buchung selten unsere Erwartungen. Weshalb dies so ist, erklärt sich, wenn man sich mit «User Experience» befasst.

Was ist User Experience?

Der Begriff wird oft missverstanden: Informationsarchitektur, Benutzeroberfläche (UI), Web Design, Front-End-Entwicklung, und neu – exklusiv in der Schweiz – «Mediamatik», haben zwar alle etwas mit User Experience zu tun. Sie sind jedoch nicht ein und dasselbe. User Experience (UX) oder Customer Experience (CX), bezieht sich auf alles, was ein Mensch mit einem Produkt oder einer Dienstleistung erlebt. Der gesamte Prozess hat viele Berührungspunkte, bei denen der Mensch mit einem Objekt interagiert. Diese Interaktion kann positiv sein oder eben negativ – diese schlechten Erlebnisse bezeichnet man als «Pain Points».

Pain Points sind kritisch für den Erfolg eines Produktes oder einer Dienstleistung. Sie bestimmen wesentlich darüber, wie ein Kunde über das Produkterlebnis oder die Dienstleistung denkt. Dies schlägt sich dann in der Markenbindung nieder – ob ein Kunde die Marke gut findet oder eben nicht. Das Formular für die Flugbuchung mag übersichtlich gestaltet sein. Der Ablauf ist klar ersichtlich. Doch wenn es zur Bezahlung per Kreditkarte kommt, wird klar, dass noch etliche Gebühren hinzukommen, welche die Fluggesellschaft nicht zum Teil des tollen Preisangebots zu Beginn gemacht hat. Somit wird dieser Teil der User Experience zum «Pain Point», dem schmerzhaften Punkt, an dem man gezwungen ist, entweder die höheren Kosten zu akzeptieren oder nach einem anderen Flug zu suchen. Die Fluggesellschaft weiss, dass nur wenige an diesem Punkt der Buchung abspringen.

Wenn User Experience vernachlässigt oder gefördert wird

Das Problem, vor dem heute viele Unternehmen stehen, ist, dass ihre Geschäftsinteressen und ihr Marketing oft gegen die Interessen der Anwender arbeiten. Will eine Fluggesellschaft mehr Umsatz pro Flug machen, bestellt sie vielleicht ein Flugzeug mit weniger Raum für die Beine der Passagiere in der Tourismusklasse. Damit bringt die Airline mehr Sitze im Flugzeug unter, aber die Verkäufe werden negativ beeinflusst. Wer will schon eingeengt wie eine Sardine fliegen? Die Buchung eines Fluges mag trivial erscheinen. Dahinter steht jedoch eine Reihe individueller Dienstleistungen, welche die Fluggesellschaften oft an andere Anbieter auslagern. So wird der Kundendienst des Bodenpersonals der portugiesischen Airline TAP am Flughafen Zürich heute von einer Drittfirma betrieben. Damit entzieht sich TAP der direkten Verantwortung gegenüber Kunden, denn diese Drittfirma hat wesentlich weniger Vollmachten, kann Kunden also weniger direkt betreuen.

Diese Zunahme an Komplexität ist ein Merkmal der Entwicklung bei fast allen Fluglinien weltweit. Mit dem zunehmenden Preiskampf und Druck der Mitbewerber fällt es Fluggesellschaften zunehmend schwer, ihre Angebote attraktiver zu gestalten und sich von Mitbewerbern zu differenzieren. Was den für Konsumenten wahrnehmbaren Unterschied bringt, ist nicht mehr allein der Preis. Kunden nehmen mittlerweile leicht höhere Preise als die billigsten Flugpreise in Kauf, wenn damit Leistungen wie die Gepäckaufnahme, die Wahl des Sitzplatzes im Flugzeug oder ein erleichtertes Einchecken gewährleistet sind. Alle diese Punkte sind Pain Points für Kunden, welche die Flugfirma entschärfen kann.

Bessere User Experience auf Websites

Natürlich gibt es diese Pain Points auch schon während der Onlinebuchung: Etwa jene Formulare, die Liechtenstein nicht in der Liste auszuwählender Länder führen. Oder es wird nach der Wahl des Landes zwingend eine Liechtensteiner Vorwahl verlangt, auch wenn man einen Vertrag mit Swisscom oder Salt hat. Alle diese Punkte liessen sich einfach finden und beheben, indem die zuständige Webfirma «User Testing» betreibt. Dabei wird nach Fehlern, Sackgassen oder Missverständnissen gesucht, die bei der Benutzung der Website auftreten könnten.

«Wenn Unternehmen mit ihren Produkten erfolgreich sein wollen, müssen sie mehr tun, als Funktionen erfüllen.»

Leider ist es inzwischen so, dass viele Firmen ihre Anwender online mit Absicht in eine Richtung steuern, die nicht unbedingt die Interessen der Kunden erfüllt. Denn eigentlich geht es bei guter User Experience darum, die Erfüllung der Absichten des Kunden so angenehm wie möglich zu gestalten. Fehlgeleitetes Marketingdenken führt hingegen zu sogenannten «Dark Patterns».

Was sind Dark Patterns?

Ein einfaches Beispiel: Sagen wir, Sie stehen vor einem Angebot, das zu gut klingt, um wahr zu sein. Direkt unter dem sehr günstigen Preis ist ein Knopf mit der Aufschrift: «Mehr erfahren.» Wenn Sie auf den Knopf klicken, sehen Sie, dass Sie sich erst bei der Website mit einem Profil anmelden müssen, bevor Sie etwas über das Angebot erfahren können.

Dies ist ein sogenanntes Dark Pattern: Sie werden mit etwas gelockt, aber anstatt ihre Absichten direkt zu erfüllen, werden Sie zur Teilnahme an etwas gezwungen, woran Sie eigentlich kein Interesse haben. Beispiele wie diese sind harmlos. Die Tricks und Bemühungen einiger Firmen, die Kunden hinters Licht zu führen, kennen keine jedoch Grenzen. Dazu zählen Irreführung wie Angebote, die so aussehen, als ob es keine günstigere oder bessere Alternative gibt. Der Knopf für die bessere Wahl ist hellgrau mit hellgrauer Schrift, wogegen der Knopf zum teureren Angebot rot und grösser dargestellt wird. Er scheint auf den ersten Blick die «richtige Wahl» zu sein. Zu den Dark Patterns zählen auch Geschäftsbedingungen, die im Kleingedruckten Bedingungen verstecken, die nicht den Interessen der Anwender entsprechen, wie etwa die Verbreitung ihrer Daten an Werbetreibende. Auch wenn das Beispiel der Fluggesellschaft nicht mehr ist als eben ein Beispiel – Fluggesellschaften sind (notorische Übeltäter), wenn es um Dark Patterns online geht.

Wie User Experience beim Verkauf hilft

Wenn Unternehmen mit ihren Marken, Produkten und Leistungen erfolgreich sein wollen, müssen sie mehr tun als Funktionen erfüllen. Ich erwarte von einer Jeans, dass sie meine Beine bekleidet. Was mein Vertrauen in die Marke jedoch stärkt, ist die Lebensdauer der Jeans, wie sie sich anfühlt beim Tragen und wie das Verkaufserlebnis war. Ich bewerte ein Erlebnis mit der Marke nicht getrennt von anderen Erlebnissen, online, im Laden, beim Verkauf, alles spielt eine Rolle.

Vertrauen schafft Loyalität zur Marke. Produkte und Dienstleistungen, die nicht versuchen, ihre Kunden mit Tricks zu gewinnen, schaffen es, eine Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen. Beziehungen werden auf Dauer gestärkt, das ist im Marketing und in der Herstellung von Apps und Websites nicht anders. Jede Handlung, die beweist, dass das Unternehmen für seine Kunden da ist und ihre Nähe sucht, hilft, das Vertrauen zu stärken und verbessert die Kundenbeziehung. Dark Patterns oder zum Kauf drängendes Verhalten hingegen zerstört das Vertrauen auf Dauer. Welches ist Ihre Lieblings-Fluggesellschaft? Wo kaufen Sie am liebsten ein? Die Antwort ist mit Sicherheit an eine Reihe von guten Erlebnissen gebunden. Insofern haben jene Unternehmen, die Wert auf gute User Experience legen, gegenüber ihren Mitbewerbern einen Vorteil.


*Zum Autor:

Henning M. von Vogelsang ist Consultant für Produktentwicklung und Experience Design und lebt in Vaduz. Er unterstützt Kunden in der Schweiz, der EU, Grossbritannien und Kalifornien bei der Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten.

www.henningvonvogelsang.com

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