Die Netzneutralität ist in den USA seit Kurzem Geschichte. Im EWR ist das Prinzip gleichberechtigter Daten im Internet dagegen gesetzlich verankert. Das wird auch noch länger so bleiben, glaubt Liechtensteins Vize-Regierungschef Daniel Risch.
Eine Vielzahl an Ländern kennt für die Nutzung des Internets eine zentrale Devise: Gleiches Recht für alle. Alle meint in diesem Fall alle Daten. Herkunft, Adressat, Inhalt – alles irrelevant. Das Netz macht keinerlei Unterschiede. Es ist einzig und allein technische Übermittlungsinfrastruktur, die der gesamten Gesellschaft gleichermassen zur Verfügung steht. Nichts wird blockiert, gebremst oder bevorzugt. Mit allen Daten wird identisch umgegangen, alle werden sie auf identische Weise transportiert. Das ist das Prinzip der Netzneutralität.
Gebührenzahlungen an den Provider
In der Verantwortung stehen dabei insbesondere die Anbieter von Internet-Zugangsdiensten, die Provider. Jene Instanzen also, die uns den Schlüssel zur Onlinewelt aushändigen. «Sie müssen den gesamten Datenverkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, ungeachtet des Senders, des Empfängers, des Inhalts, der Anwendung, des Dienstes oder des Endgeräts gleich behandeln», betont Liechtensteins Infrastrukturminister Daniel Risch. Davon zu trennen sei freilich der Einsatz sogenannter Verkehrsmanagement-Massnahmen, ergänzt er. Diese zielen in erster Linie darauf ab, eine bestmögliche Bewältigung des sich immer weiter verdichtenden Datenverkehrs sicherzustellen und zu vermeiden, dass Internetanschlüsse nur noch eingeschränkt funktionsfähig sind. In den USA ist eine solche Unterscheidung seit Kurzem obsolet. Die Federal Communications Commission (FCC) hat das Prinzip der Netzneutralität Mitte Dezember offiziell aufgehoben. Netzanbieter haben dort neu also die Möglichkeit, das Internet nach Geschwindigkeit und Qualität zu segmentieren und so ein Mehrklassen-Produkt zu schaffen. Anbieter von Inhalten – beispielsweise ein Streamingportal, eine Social-Media-Plattform oder eine Suchmaschine – haben dann die Wahl zwischen verschiedenen Transportvarianten für ihre Daten. Dabei dürfte gelten: Je schneller und hochwertiger, desto mehr Gebühren sind an den InternetZugangsdienst zu entrichten. Wer zahlt, so die Quintessenz, wird bevorzugt. Begründet wird der Schritt seitens der FCC vor allem mit der Hoffnung, dass die Anbieter durch die Mehreinnahmen ermuntert werden, verstärkt in den Ausbau der Datennetze zu investieren. Daniel Risch kann sich mit den Vorgängen jenseits des Grossen Teichs nicht anfreunden. «Es steht ausser Frage, dass ein offenes, ‹neutrales› Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten das Internet zu einer Plattform für Meinungsfreiheit, Wachstum und Innovation gemacht haben», betont er. Sein Ministerium messe dem Grundsatz der Netzneutralität deshalb einen besonders hohen Stellenwert zu. Entsprechend gilt es diesen zu schützen, findet Risch: «Der Zugang zu einem offenen Internet muss für jeden Konsumenten, für die Wirtschaft und die Anbieter von Internetdiensten garantiert sein. Das offene Internet stellt neben gut ausgebauten digitalen Netzen die Basis für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle – Stichworte: Industrie 4.0 oder Fintec – dar und ist für jeden (Wirtschafts-)Standort unabdingbar.»
Netzneutralität ist gesetzlich verankert
In Liechtenstein sind Schutz und Garantie der Netzneutralität gegeben. Die Verordnung (EU) 2015/2120, welche die Netzneutralität im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum einheitlich regelt, wurde durch die Novellierung des Kommunikationsgesetzes in nationales Recht übernommen. «Dadurch sind die vorgesehenen Massnahmen und Pflichten für alle in Liechtenstein tätigen Anbieter rechtsverbindlich geworden», so Risch. Zusätzlich gestärkt wird die Institution des offenen Internets durch die Leitlinien des Gremiums der Europäischen Regulierungsstellen für die elektronische Kommunikation. Diese, sagt Liechtensteins Infrastrukturminister, leisteten einen wichtigen Beitrag zur einheitlichen Anwendung der EU-Verordnung im EWR. Das Amt für Kommunikation schliesslich ist mit der Aufgabe betraut, die Einhaltung der Verordnung zu beaufsichtigen. An den gegenwärtigen Gegebenheiten wird sich nach Ansicht des Vize-Regierungschefs so schnell nichts ändern. Es sei nicht davon auszugehen, dass die erst 2015 beschlossenen Regeln zum Schutz der Netzneutralität im EWR «in absehbarer Zeit» wieder geändert würden, sagt er. Und ein Alleingang Liechtensteins in dieser Frage sei ohnehin ausgeschlossen und aufgrund der Marktgrösse auch gar nicht sinnvoll.
Vermindertes Angebot und höhere Preise möglich
Sollte es der Netzneutralität im EWR und folglich auch in Liechtenstein irgendwann dennoch an den Kragen gehen, müssten sich neben den Anbietern von Inhalten auch die Einwohnerinnen und Einwohner in ihrer Rolle als Konsumenten wohl auf negative Konsequenzen gefasst machen. «Es wäre beispielsweise möglich, dass bei einer Aufhebung der Netzneutralität bestimmte Dienste, die in Konkurrenz zu Diensten der Internet Service Provider stehen, nicht mehr oder nicht mehr in gewohnter Qualität verfügbar sind», Risch. Ebenso denkbar wäre, dass Inhalte-Anbieter, die Kosten, die ihnen durch Zahlungen an Provider entstehen, auf die Endkunden abwälzen, indem sie ihrerseits die Preise für ihre Dienste anheben. In den kommenden Monaten und Jahren empfiehlt sich diesbezüglich sicher auch der regelmässige Blick in die USA. Dort wird sich offenbaren, wohin die Reise ohne geschützte Netzneutralität tatsächlich geht. (ob)